Prädiktive Werte als Modell

Die Schwiergkeiten bei der Abschätzung der a-priori-Wahrscheinlichkeiten machen die tatsächliche Berechnung der Prädiktiven Werte im konkreten Fall meist unmöglich. Als didaktisches Modell machen sie uns aber folgendes deutlich:
  • Der Aussagewert einer labordiagnostischen Untersuchung ist sowohl von der Qualität des Untersuchungsverfahrens als auch von der Erwartungswahrscheinlicheit der zu diagnostizierenden Krankheit abhängig.
  • Für jedes Untersuchungsverfahren gibt es einen Bereich dieser Erwartungswahrscheinlichkeit, innerhalb dessen ein möglichst großer Zuwachs an diagnostischer Sicherheit erreicht werden kann.
  • Durch die gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung (Dies sind "Verfahren" mit sehr hoher Sensitivität und Spezifität, wie sie im allgemeinen von Laboruntersuchungen nicht erreicht werden) erlangt diese Erwartungswahrscheinlichkeit eine solche Höhe, dass von der nachfolgenden Laboruntersuchung eine sinnvolle Aussage erwartet werden kann. Der prädiktive Wert verdeutlicht hier die Ineffektivität der sogenannten "Schrotschussdiagnostik".
  • Für die Auffindung von Erkrankungen im symptomlosen Frühstadium mit Hilfe labordiagnostischer Untersuchungen ist es effektiver, Gruppen gefährdeter Personen zu untersuchen. Hier liegt die Erwartungswahrscheinlichkeit höher als die Krankheitsprävalenz in der Gesamtpopulation.
  • Für die Festlegung von Erkrankungen im symptomlosen Frühstadium unter großen Bevölkerungsgruppen oder in der gesamten Population (z.B. angeborene Stoffwechselstörungen), ist es erforderlich, Untersuchungsverfahren mit extrem hoher Empfindlichkeit und Spezifität zu verwenden, um verwertbare Ergebnisse zu erhalten.
  • Beispiel:
    Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Kind, dessen TSH-Konzentration im Serum erhöht ist, an einer angeborenen Unterfunktion der Schilddrüse leidet?

  • Diagnostische Qualität der TSH-Bestimmung
    Empfindlichkeit: 100% = 1,00000
    Spezifität: 99,975 = 0,99975
  • Erwartungswahrscheinlichkeit der Erkrankung in der Population: 1:3000 bzw. 0,0333% bzw. 0,000333.
  • Berechnung des positiven Prädiktiven Wertes:
    Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Schilddrüsenunterfunktion beträgt 57%.
  • Verwendet man aber anstelle der TSH-Bestimmung eine Untersuchung, deren Empfindlichkeit und Spezifität "nur" bei jeweils 99% liegt, etwa die T4-Bestimmung, sinkt der positive Prädiktive Werte auf:
    Dieses Beispiel verdeutlicht, welche hohen Anforderungen an Screening-Parameter gestellt werden müssen.
    Die Parameter der klinischen Diagnostik erfüllen diese Anforderungen im allgemeinen nicht. Ihre Anwendung für Sceenning-Zwecke führt je nach Festlegung des Schwellenwertes zum Übersehen vieler Kranker oder zu einer Flut von Nachuntersuchungen, um Falsch-Positive und tatsächlich Kranke zu unterscheiden. geschieht letzteres nicht, schafft man sich durch eine derart ungezielte Anwendung von laboruntersuchungen ein Heer von "Befundkranken".

    Anders ist es, wenn durch vorherige körperliche Untersuchung die Wahrscheinlichkeit einer Hypothyreose auf 1:10 [P(K+) = 0,1] erhöht wurde und die TSH- und / oder T4-Bestimmung - um bei unserem Beispiel zu bleiben - als Ausschluss- bzw. Bestätigungstest eingesetzt wird.
    Dann ergeben sich für die positiven Pädiktiven Werte deutliche Erhöhungen:
    P(K+ | T+)TSH = 99,75% !
    P(K+ | T+)F4 = 90,82% !